Ungewöhnliche Klänge begleiten mich bei einem Gang über die Finca. An allen Ecken gluckst, gurgelt und plätschert es. Kleine Bäche laufen durch das Gelände, lustig strömt das Wasser die Rampe hinunter, von Dächern und aus Regenrinnen. Insbesondere im Bereich der ehemaligen Stallungen der Esel ertönt ein wahres Tropfenkonzert aus überlaufenden Eimern und Schüsseln.
Katerchen hat sich an seinen Regenwetter-Lieblingsplatz zurückgezogen, einem Verschlag in dem Brennholz gelagert wird. Hier träumt er die meiste Zeit des Tages begleitet vom Konzert der Tropfen auf dem Dach und dem Rauschen des Windes. Nur zu den Fütterungszeiten sind die Katzen pünktlch zur Stelle.
Seit Samstag herrscht auf den Kanaren Ausnahmezustand. Südlich der Inselgruppe hatten sich zwischen dem afrikanischen Festland und den Kapverden vergangene Woche mehrere Wirbelstürme gebildet. Selten zieht so ein Wetterphänomen nach Norden, aber auszuschliessen ist es nicht. Was meteorologisch in jedem Fall berechnet werden konnte, war Regen. Im Umfeld eines Hurrikans kommt es oftmals zu erheblichen Niederschlägen. Und so wurde für das Wochenende das öffentliche Leben auf den Kanaren vorsorglich eingefroren – keine Veranstaltungen, keine Märkte, nicht einmal der Besuch von Freunden oder Verwandten im Krankenhaus war erlaubt. Der Flugplatz von El Hierro – fast zwei Tage lang geschlossen.
Zu-Hause-bleiben hieß die Anweisung von oben.
Die Medien waren das ganze Wochenende eifrig bemüht, die entsprechenden Bilder zur Geschichte einer Wetterkatastrophe zu finden.
Was geschah bei uns in Guarazoca?
Samstag hat es geregnet. Ein sanftes Regnen, das sich über den ganzen Tag verteilte und Boden und Pflanzen die Möglichkeit gab, nach langer Dürre in aller Ruhe zu trinken. Am Sonntag ein subtropisches Klima, angenehme Wärme, viel Feuchtigkeit in der Luft, Sonnenschein. (Die Vorhersage für diesen Tag hatte bei uns bis zu 175 Liter Regen pro Meter / Stunde angekündigt.) Heute am Montag war schulfrei. Das hatte man schon am vergangenen Freitag bekanntgegeben. In der Tat fing es in der vergangenen Nacht gegen 3 Uhr wieder an zu regnen. Ein sanfter und gleichmässiger Niederschlag, eigentlich so wie es meistens hier ist, wenn es mal einen der seltenen Regentage gibt. Am heutigen Nachmittag wurde dann die seit Tagen geltende Alarmstufe „rot“ beendet. Seitdem stürmt es, schüttet es aus Eimern und gluckert, gluckst und plätschert …
Natürlich gab es in diesen Tagen ein paar überflutete Strassen auf Gran Canaria, umgeknickte Bäume auf Tenerifa und unzählige Erdrutsche. In den kommenden Tagen werden mit oder ohne Regen weitere Hänge abrutschen, denn wenn sich nach monatelanger Trockenheit der Boden vollsaugt, kann er nun mal ins Rutschen kommen.
Ich kann allerdings nicht nachvollziehen, weshalb hier auf der Insel Anweisungen „von ganz oben“ gelten, die den Menschen verbieten, ihre Verwandten im Krankenhaus zu besuchen, wenn auf El Hierro (zumindest während der Alarmphase „rot“) eine moderate Wetterlage herrschte.
Für mich ist das Erleben der vergangenen Tage ein weiteres Beispiel der Entmündigung des Individuums, eines Entzugs von Eigenverantwortung und eines von den Regierenden praktizierten Sicherheitsdenkens, das von Angst geprägt ist. Eine Show unterstützt von Medien, die die gewünschten Bilder liefern.
Ich nehme das Risiko jetzt auf mich, durch den strömenden Regen in voller Regenmontur von ganz unten nach ganz oben zu laufen, da ich zwar im untersten Haus wohne, sich unsere Küche aber noch im obersten Haus der Finca befindet. Und beim Schreiben habe ich ganz vergessen, dass die Katzen ja noch auf ihr Futter warten!
Nachtrag am 27. September
Die deutschsprachigen Medien ziehen nach:
„Tropensturm verwüstet Kanaren“ (Merkur)
„Nach langer Dürre wütet Tropensturm Hermine“ (Euronews)
„Tropensturm sorgt für Chaos“ (Morgenpost)
„Schwere Unwetter über den Kanarischen Inseln“ (Spiegel)
Eine Bekannte berichtet mir am Nachmittag, wie sie ein paar Stunden zuvor einem spanischen Fernsehteam zugeschaut hatte, welches sich bemühte, eine Kulisse aufzubauen, die dem entsprechen sollte, was der Moderatorin als Text für ihre Reportage offensichtlich vorgegeben war …
Apropos Sturm - auf keiner einzigen kanarischen Insel gab es am vergangenen Wochenende einen Sturm ...
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